Schwerpunkt 2: Offenheit
wie offen sind die systeme?
Wissen ist die Grundlage aller Innovationen – ob technische Produktinnovationen, Prozessinnovationen, Dienstleistungsinnovationen oder neue Geschäftsmodelle. Die Komplexität des Wissens und die Menge des notwendigen Wissens für Innovationen steigen in vielen wissenschaftlichen und technologischen Bereichen deutlich – bisweilen exponentiell – an. Da aber einzelne Unternehmen oder auch einzelne Forschungseinrichtungen häufig weder diese Menge an aktuellem Wissen noch die große disziplinäre Vielfalt bereitstellen können, die für die entscheidenden Neuerungen notwendig sind, sind Kooperation und Austausch von Wissen mit anderen Unternehmen oder Organisationen essenziell.
Die Offenheit von Wissenschafts- und Innovationssystemen wurde bereits in den 1990er- und den frühen 2000er- Jahren propagiert. Die Konzepte von Chesbrough6 oder von Hippel7 fanden sowohl Anerkennung als auch Umsetzung und leiteten in vielen Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen ein Überdenken der bis dato gepflegten Kooperationsaktivitäten ein, mit dem Ziel, sich stärker zu öffnen und zu vernetzen. Die Konzepte fielen in die Zeit der Globalisierung und versprachen im Wesentlichen einen zügigen Fortschritt durch Kooperation und einen möglichst freien Fluss von Wissen. Obwohl die zentralen Konzepte weiterhin gelten, haben eine protektionistische Politik, das Ende der Globalisierung und geopolitische Spannungen seit dem letzten Jahrzehnt internationale Wissenschaftskooperationen verändert. Neue Schwerpunkte sind Forschungssicherheit und technologische Souveränität, was viele Länder zur Anpassung ihrer Strategien gezwungen hat.
Beim Thema Forschungssicherheit geht es um die Sicherung des Wissens, die Vermeidung der vorsätzlichen Manipulation von Forschungsergebnissen oder deren missbräuchliche Nutzung, nicht gewollte Wissensabflüsse durch Spionage und/oder Diebstahl sowie die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere – aber nicht ausschließlich – im Bereich von sogenannten Dual-Use-Technologien, also solcher Technologien, die sowohl eine zivile als auch eine militärische Nutzung ermöglichen können.8 Zahlreiche Länder, darunter Deutschland, haben solche Politikmaßnahmen auf den Weg gebracht oder sie bereits implementiert.9
Die zweite Dimension ist die der technologischen Souveränität, was so viel bedeutet wie Handlungsfreiheit in Bezug auf wesentliche staatliche und/oder gesellschaftliche Aufgaben, darunter Gesundheit, Energieversorgung, Kommunikation, Mobilität oder auch militärische und zivile Sicherheit. Letzen Endes geht es darum, einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden und eigene Kompetenzen aufzubauen oder zu erhalten sowie Verlässlichkeit, Planbarkeit und Vertrauenswürdigkeit sicherzustellen.10
Die UnternehmensPerspektive
Diese Dimensionen sind auch für Unternehmen relevant. Hinzu kommt jedoch die Kostendimension. Insbesondere in Europa ist der Kostendruck auf die Entwicklung in den letzten Jahren stark gewachsen. Gleichzeitig steigt der Innovationsdruck auf europäische Unternehmen, unter anderem aufgrund des deutlich stärker gewordenen Innovationssystems in China. Unternehmen reagieren darauf einerseits mit Maßnahmen zur Effizienzsteigerung und Verlagerung von FuE-Zentren in Länder mit geringeren Lohnniveaus. Jedoch spielt auch die Nähe zu Märkten oder relevanten Technologieclustern bei der Verlagerung von FuE eine Rolle. Angesichts des zunehmenden Einflusses (geo-)politischer Erwägungen auf die Unternehmen ist teilweise eine Gegenbewegung wahrzunehmen, also dass Unternehmen Forschung zurückverlagern. Das ist aber kein allgemeiner Trend, weil sowohl der Kostendruck als auch die Attraktivität ausländischer Märkte sehr hoch bleiben. Zudem kann die Verlagerung von FuE-Aktivitäten im Sinne einer Local-for-local-Strategie zur Risikostreuung beitragen.
Die Unternehmen setzen also darauf, dass die Informationsflüsse zumindest innerhalb des Unternehmens weiterhin über Grenzen hinweg offen und möglich sind. Auch partnerschaftliche und Open-Innovation-Ansätze werden zur besseren und schnelleren Innovation eingesetzt, wenngleich dadurch das Risiko eines unfreiwilligen Technologietransfers besteht. Es ist deshalb wichtig, eine kluge Balance zwischen Offenheit und die Sicherheit der Forschung gewährenden Maßnahmen herzustellen. Denn die Einschränkung von Offenheit geht potenziell mit Kosten für die Gewährleistung von Forschungssicherheit wie auch höheren Kosten durch den Aufbau neuer (Technologie-)Kooperationen mit vertrauenswürdigeren Partnern einher. Dadurch steigen die Kosten für Innovationen, die Effizienz des Innovationssystems sinkt. Klar ist, dass die Gesamtkosten eines solchen Ansatzes insgesamt höher sind und damit die Effizienz des Innovationssystems reduzieren (weil in der Wissensgenerierungs- oder Kommerzialisierungsfunktion gegebenenfalls mehr Inputs aufgewendet werden müssen, um die gleichen Outputs zu erzielen).
Offenheit insgesamt: Ranking und Indexwerte der Volkswirtschaften
| 1 | Schweiz | 72 |
| 2 | Dänemark | 65 |
| 3 | Niederlande | 60 |
| 4 | Singapur | 60 |
| 5 | Österreich | 59 |
| 6 | Irland | 58 |
| 7 | Tschechien | 57 |
| 8 | Finnland | 57 |
| 9 | Schweden | 56 |
| 10 | Australien | 53 |
| 11 | Kanada | 51 |
| 12 | Großbritannien | 47 |
| 13 | Deutschland | 47 |
| 14 | Portugal | 46 |
| 15 | Belgien | 43 |
| 16 | Ungarn | 43 |
| 17 | Israel | 41 |
| 18 | Norwegen | 39 |
| 19 | Frankreich | 38 |
| 20 | Spanien | 35 |
| 21 | Polen | 34 |
| 22 | Südkorea | 33 |
| 23 | Japan | 32 |
| 24 | Griechenland | 32 |
| 25 | Indonesien | 32 |
| 26 | Südafrika | 30 |
| 27 | Russland | 30 |
| 28 | USA | 30 |
| 29 | Italien | 29 |
| 30 | Indien | 28 |
| 31 | China | 24 |
| 32 | Türkei | 23 |
| 33 | Mexiko | 21 |
| 34 | Brasilien | 21 |
Die Datenlage lässt leider keine Berechnung der Indexwerte für Taiwan zu.
Quelle: Innovationsindikator 2025
EU-Perspektive
Die EU-Kompass-Strategie, die 2025 als Antwort auf den Draghi-Bericht von 2024 erschien, betont eine verstärkte Zusammenarbeit und fordert technologische Souveränität in Europa. „Der Handel mit Drittländern ist ein zentraler Faktor für den Wohlstand Europas. Ein hohes Maß an Handelsoffenheit ist daher nicht nur für die Erhaltung des Wohlstands in Europa, sondern auch für die Stärkung seiner Widerstandsfähigkeit von entscheidender Bedeutung.“ (eigene Übersetzung).11
In seiner Stellungnahme im Jahr 2024 zur Veröffentlichung des Berichts zur Wettbewerbssituation in Europa12 hob der Vorsitzende der Expertengruppe, Mario Draghi, hervor, wie offen die EU und die Mitgliedsländer einerseits und wie abhängig sie von einzelnen Technologien aus dem Ausland andererseits sind, insbesondere im Bereich von digitalen Technologien. Vor dem Hintergrund der sich ändernden Weltlage, in der etablierte Geschäftsmodelle mitunter nicht mehr funktionieren und geopolitische Herausforderungen wirtschaftliche Abhängigkeiten neu definieren, ist eine neue Perspektive sowohl auf die eigenen Ziele als auch die Offenheit und die Kooperationsbeziehungen notwendig.
Offenheit heute
Offenheit von Wissenschaft, Forschung und Innovation bedeutet heute in erster Linie gezielte und intendierte Offenheit. Dabei werden sowohl die Forschungssicherheit als auch die technologische Souveränität explizit mitberücksichtigt. Das erklärte Ziel ist heute, nicht nur so offen wie möglich zu sein, sondern gleichzeitig so geschlossen wie nötig. Dabei muss allerdings stets bedacht werden, dass Offenheit und Kooperation einen Austausch in beide Richtungen implizieren. Wer offene Systeme erwartet, aber selbst verschlossen bleibt, wird damit langfristig kaum Erfolg haben.
Es wurden verschiedentlich Politikmaßnahmen und -ansätze eingeführt, die diese beiden zusätzlichen Dimensionen mitberücksichtigen. Zu Beginn dieses Jahrzehnts hat die deutsche Politik im Rahmen des sogenannten De-Riskings – einer kritischen Überprüfung von relevanten Themenbereichen und Kooperationsländern – Maßnahmen ergriffen, um die technologische Souveränität des Landes zu sichern und weiter auszubauen. Mit dem Europäischen Forschungsraum, der zwar bereits Mitte der 2000er-Jahre eingeführt, mit der Agenda von 2021 jedoch eine neue Entwicklungsrichtung und eine neue Sichtbarkeit erhalten hat, zielt auch die EU auf die Kooperation der Mitgliedsstaaten untereinander sowie mit den assoziierten Staaten ab.13 Das erste Ziel der Politikagenda des Europäischen Forschungsraums (EFR) aus dem Jahr 2021 adressiert entsprechend einen offenen Wissensaustausch und die Verwendung von Forschungsergebnissen innerhalb des EFR.
Instrumente von Open Science aufseiten der Wissenschaft sind in erster Linie Open Access – damit ist der für Leserinnen und Leser möglichst freie Zugang zu wissenschaftlichen Zeitschriftenveröffentlichungen gemeint – sowie Open Data, was sowohl die Dokumentation von in wissenschaftlichen Veröffentlichungen verwendeten Daten als auch generell einen breiten Zugang zu wissenschaftlich nutzbaren Daten meint.
Die Offenheit von Wissenschafts- und Innovationssystemen ist kein Selbstzweck, sondern dient dem wissenschaftlichen Fortschritt und der technologischen Leistungsfähigkeit. Die Dimensionen von Offenheit reichen von wissenschaftlichem Austausch über FuE-Prozesse bis hin zur Diffusion von Innovationen und deren wirtschaftlicher Wirkung. Wir haben vier Gruppen von Indikatoren zusammengetragen, um die Offenheit der im Innovationsindikator betrachteten Länder zu vergleichen und die Entwicklung über die Zeit zu erfassen: wissenschaftlicher Austausch, technologischer Austausch, grenzüberschreitender Waren- und Finanzverkehr sowie gesellschaftliche Offenheit inklusive Mobilität (siehe Box).
Ergebnisse
Ebenso wie beim Innovationsindex liegt auch beim Offenheitsindex die Schweiz an der Spitze mit 72 Punkten, gefolgt von Dänemark (65 Punkte). Im Anschluss daran findet sich eine Gruppe von Ländern bestehend aus den Niederlanden, Singapur, Österreich, Irland, Tschechien, Finnland und Schweden.14 Die Gründe für das gute Abschneiden der einzelnen Länder sind dabei durchaus unterschiedlich. Neben inhaltlich-strukturellen Gründen schneiden kleinere Länder auch beim Offenheitsindex tendenziell besser ab. Dies liegt unter anderem daran, dass Organisationen in kleineren Ländern, wenn sie kooperieren, tendenziell mit dem Ausland kooperieren, da sie im Inland weniger wahrscheinlich passende Partner finden (siehe auch Box im Kapitel Innovationsfähigkeit). In diesem Kapitel wird allerdings nicht der Frage nachgegangen, welche die für die einzelnen Länder optimale Offenheit wäre, sondern sie werden entlang ihrer Intensität betrachtet.
In der Schweiz, den Niederlanden, Österreich, Dänemark und Schweden ist das jeweilige Wissenschaftssystem stark international vernetzt. Ebenfalls in der Schweiz, Irland, Finnland, Schweden und Dänemark trägt ein deutlich international ausgerichtetes FuE-System zusätzlich zum guten Abschneiden bei. Hinzu kommen bei Dänemark, den Niederlanden, der Schweiz sowie Schweden ein stark integrierter Waren- und Finanzverkehr. Singapur erreicht mittlere Rangplätze bei der Offenheit von Wissenschaft und Forschung. Es hat zwar hohe Anteile internationaler Ko-Publikationen, veröffentlicht aber vergleichsweise nur wenige Beiträge in Open-Access-Zeitschriften, steht aber beim Waren- und Finanzverkehr sowie der gesellschaftlichen Offenheit in unserem Vergleich an der Spitze. Das Land ist in der Tat multikulturell und dient vielen multinationalen Unternehmen als Ausgangsbasis für Märkte in Asien. Tschechien kann durch internationale Direktinvestitionen sowie international finanzierte und durchgeführte FuE im Land punkten.
die Indikatoren des internationalen Vergleichs von Offenheit von Wissenschafts- und Innovationssystemen
Wissenschaftlicher Austausch
- Anteil nationaler und internationaler Ko-Publikationen an allen wissenschaftlichen und technischen Artikeln (Quelle: Elsevier – Scopus)
- Anteil von Open-Access-Publikationen an allen Veröffentlichungen eines Landes (Quelle: Elsevier – Scopus)
- Anteil der im Ausland eingeschriebenen Studierenden an allen immatrikulierten Studierenden (Quelle: OECD – EAC)
Technologischer Austausch
- Ausländisch finanzierte FuE-Ausgaben insgesamt (Prozent des BIP) (Quelle: OECD – MSTI)
- FuE von ausländischen Tochtergesellschaften (Prozent des BIP) (Quelle: OECD – DSD_SBRD)
- Anteil internationaler Ko-Patente an allen transnationalen Patentanmeldungen (Quelle: EPO – PATSTAT)
- Anteil internationaler PCT-Patentanmeldungen an allen nationalen Patentanmeldungen eines Landes (Quelle: EPO – PATSTAT)
- IPR-Zahlungen (Prozent des BIP) (Quelle: Weltbank)
- IPR-Einnahmen (Prozent des BIP) (Quelle: Weltbank)
- GitHub-Repositories pro Kopf der Bevölkerung (Quelle: GitHub)
Grenzüberschreitender Waren- und Finanzverkehr
- Ausländische Direktinvestitionen, Nettozuflüsse (Prozent des BIP) (Quelle: Weltbank)
- Ausländische Direktinvestitionen, Nettoabflüsse (Prozent des BIP) (Quelle: Weltbank)
- Zahlungsbilanz als Prozent des BIP (Quelle: OECD)
- Nettoauslandsvermögen (Prozent des BIP) (Quelle: Weltbank)
- Importquote (Prozent des BIP) (Quelle: UN – COMTRADE)
- Angewandter Zollsatz, gewichteter Mittelwert, alle Produkte (Prozent) (Quelle: Weltbank)
Gesellschaftliche Offenheit und Mobilität
- Rechtsstaatlichkeit (Quelle: Weltbank)
- Arbeitsmarktbeteiligung von im Ausland Geborenen in Prozent der Bevölkerung derselben Untergruppe (Quelle: OECD)
- Inbound-Mobilitätsrate (Quelle: UIS UNESCO)
- Zustrom ausländischer Bevölkerung (Quelle: OECD)
- Möchte … nicht gern als Nachbarn haben (Menschen anderer Herkunft; Einwanderer/Gastarbeiter; Homosexuelle; Menschen anderer Religion; Menschen, die eine andere Sprache sprechen) (Quelle: World Value Survey)
Es folgt ein breites Mittelfeld, dem sich Australien, Kanada, Großbritannien und auch Deutschland auf dem 13. Rang sowie auch Portugal, Belgien, Ungarn und Israel zuordnen lassen. Großbritannien kann bei der gesellschaftlichen Offenheit punkten, erreicht aber bei der Offenheit des Wissenschaftssystems sowie dem FuE-System mittlere und dem Waren- und Finanzverkehr leicht unterdurchschnittliche Werte, trotz der Brückenkopffunktion für US-amerikanische Unternehmen in den europäischen Markt. Hier kann mittlerweile Irland deutlich mehr punkten.
Deutschland hingegen hat ein besonders international ausgerichtetes Wirtschaftssystem (Waren- und Finanzverkehr) sowie auch ein durchaus offenes Wissenschaftssystem, kann jedoch bei den gesellschaftlichen Indikatoren nur wenig punkten. Zwar wird die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland hoch bewertet, doch bei anderen Aspekten schneidet Deutschland schlecht ab. Dies gilt ganz besonders für die kulturelle Offenheit.
Belgien, das beim Innovationsindex im vorderen Mittelfeld abschneidet, ist bei der Offenheit lediglich auf Rang 15, aufgrund von mittelmäßigen Indexwerten bei der Offenheit von Wissenschaft, FuE sowie Waren- und Finanzverkehr, während es bei der Wirtschaftsstruktur und den gesellschaftlichen Indikatoren nur im unteren Bereich abschneidet. Zwar ist die Wissenschaft international sehr gut vernetzt, die Anteile von Open-Access-Publikationen und von ausländischen Studierenden sind jedoch im Vergleich zu den anderen betrachteten Ländern eher gering. Die Arbeitsmarktbeteiligung ausländischer Personen und zuletzt auch die Einwanderung aus dem Ausland erreichen lediglich Werte im unteren Bereich der Vergleichsländer.
Entwicklung des OffenheitsIndex für ausgewählte Länder, gleitende Drei-Jahres-Durchschnitte, 2005–2024
BEZUGSJAHR DER INDIKATORWERTE
Quelle: Innovationsindikator 2025
china hat bei der internationalen integration seines forschungssystems weiterhin deutliche defizite.«
Norwegen, Frankreich, Spanien, Polen und Südkorea erreichen Werte zwischen 39 und 33 Punkten, was sie auf den Plätzen 18 bis 22 einordnet. Polen zeichnet sich im Jahr 2024 durch eine durchschnittliche gesellschaftliche Offenheit und eine leicht überdurchschnittlich international integrierte Wirtschaft aus, was in erster Linie auf ausländische Direktinvestitionen sowie günstige Zollbeschränkungen zurückzuführen ist. Bei Wissenschaft und Forschung ist eine internationale Integration hingegen kaum sichtbar.
Japan folgt auf Rang 23 mit 32 Indexpunkten. Japan hat eine mittelmäßig offene Gesellschaft – es erreicht sehr hohe Werte bei der Offenheit gegenüber Minderheiten in der Nachbarschaft (World Value Survey) und bei der Rechtsstaatlichkeit. Es gelingt Japan jedoch vergleichsweise schlecht, sein Wissenschaftssystem und auch sein FuE-System international integriert aufzustellen. Beim Durchführen von FuE in Japan sind multinationale Unternehmen sehr zurückhaltend. Zwar sind beim Waren- und Finanzverkehr die Direktinvestitionen in Japan sowie aus Japan im Ausland durchaus hoch, bei den übrigen Indikatoren erreicht es jedoch nur mittlere oder niedrige Werte im internationalen Vergleich.
Griechenland und Indonesien folgen auf den weiteren Plätzen, ehe eine punktgleiche (30 Punkte) Gruppe bestehend aus Südafrika, Russland und den USA sowie davon etwas abgesetzt Italien (29 Punkte) und Indien (28 Punkte) die Rangplätze 26 bis 30 einnimmt. Die USA lassen sich damit nicht mehr dem oberen Mittelfeld zuordnen, denn sie erreichen mit 30 Punkten lediglich den 28. Rang beim Offenheitsindex. Das Wissenschaftssystem kann nach unseren Analysen nur als mäßig international kooperativ eingestuft werden. Bei den Ko-Publikationen – es werden sowohl internationale wie auch nationale Ko-Publikationen berücksichtigt – rangieren die USA im Mittelfeld, der Anteil von Open-Access-Publikationen aus den USA ist weiterhin sehr niedrig und auch die Anteile von ausländischen Studierenden sind als niedrig einzustufen. Letzteres liegt an niedrigen Anteilen von Bachelor- und Masterstudierenden, was vermutlich zu einem großen Teil den Studiengebühren in den USA geschuldet ist. Demgegenüber kommen Doktorandinnen und Doktoranden (PhD-Studierende) in den USA recht häufig aus dem Ausland. Es ist bekannt, dass die wissenschaftliche Forschung zu substanziellen Teilen von ausländischen PhDs getragen wurde und noch getragen wird. Das FuE-System der USA ist auch durchaus als international integriert einzustufen, nicht zuletzt weil eine Vielzahl multinationaler Unternehmen Forschungseinrichtungen in den USA unterhält. Beim Waren- und Finanzverkehr auf Basis der hier verwendeten Kennzahlen rangieren die USA im unteren Bereich des Länderrankings. Zwar schlagen hohe Indexwerte bei den Direktinvestitionen in den USA sowie von den USA im Ausland zu Buche, die Zahlungsbilanz, die Importquote (als Anteil der Importe am BIP) sowie das Nettoauslandsvermögen sind jedoch im Vergleich der hier betrachteten Länder niedrig. Es handelt sich dabei um Indikatoren, die am BIP normiert werden und durch das enorme BIP der USA entsprechend relativiert werden.
Am unteren Ende wird eine Gruppe von vier Ländern von China angeführt, zu der auch die Türkei, Mexiko und das Schlusslicht Brasilien gehören. China kann zwar bei den internationalen Ko-Publikationen punkten, im Bereich von Open-Access-Publikationen schneidet China allerdings am unteren Ende der Skala ab. Es hat daneben insbesondere bei der internationalen Integration seines Forschungssystems weiterhin deutliche Defizite, ebenso wie bei der gesellschaftlichen Offenheit. Der internationale Waren- und Finanzverkehr trägt zur Steigerung des Gesamtindex der Offenheit bei. Allerdings sind dies in erster Linie die Direktinvestitionen, die hier zu Buche schlagen und ein wenig auch die Zahlungsbilanz sowie das Nettoauslandsvermögen, während sowohl die Importquote am BIP als auch die Zollsätze die Werte nach unten ziehen.
Zwar sind die Positionen der Länder im Zeitverlauf vergleichsweise stabil, es gibt aber dennoch einige Entwicklungen über die Zeit, die erwähnenswert sind. Würden wir die Offenheit beziehungsweise Vernetzung nicht normiert über den internationalen Vergleich, sondern über die Entwicklung für jedes der Länder für sich darstellen, dann würde sich insbesondere getrieben durch intensive Handelsverflechtungen und Investitionen beziehungsweise Auslandsvermögen ein Höhepunkt in der ersten Hälfte der 2010er-Jahre zeigen. Dieser Höhepunkt fällt zusammen mit dem Höhepunkt der Globalisierung, der sich ebenfalls zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts terminieren lässt. Im Nachgang der Finanzkrise 2007/2008 setzte weltweit eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung ein, die auf Spezialisierung und intensivem internationalem Handel aufbaute. In diese Zeit fällt auch der Beginn einer dynamischen Entwicklung Chinas, die auf einer intensiven internationalen Arbeitsteilung (Werkbank der Welt) gepaart mit einem geplanten technologischen Aufholprozess beruht. Gleichzeitig setzten wissenschaftliche und technologische Entwicklungen ein, die nicht mehr länger ausschließlich vom Westen getrieben wurden, sondern zusehends auch in aufholenden (neben China sind hier insbesondere Indien und Brasilien zu nennen) beziehungsweise bereits aufgeschlossenen Ländern wie Singapur und Südkorea angetrieben wurden. Entsprechend haben sowohl multinationale Unternehmen als auch Wissenschaftseinrichtungen sich mit Partnern im Ausland auf verschiedene Weise vernetzt. Einerseits wollten gerade Unternehmen keine technologischen Trends und Neuerungen verpassen, das heißt, das Knowledge-Sourcing der Unternehmen hat sich deutlich verbreitert und geöffnet (Stichwort: Open Innovation). Andererseits zeichnete sich durch die gesteigerte Komplexität und die zunehmenden Kosten von Innovationsprozessen ein wachsender Kooperationsbedarf ab, der neben Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen auch zwischen Wissenschaftseinrichtungen zu erhöhten Kooperationen geführt hat. Bis zum Beginn der Coronakrise beziehungsweise dem Beginn des neuen Jahrzehnts waren die Indexwerte und damit die Intensität der Offenheit und der Vernetzung recht stabil. Mit dem Beginn des dritten Jahrzehnts ging die Offenheit dann aber verstärkt zurück, was einerseits durch die Coronapandemie und andererseits durch verstärkten Protektionismus und Ausrichtung auf technologische Souveränität begründet werden kann. Allerdings bleibt es für multinationale Unternehmen relevant – gerade solche mit FuE-Kapazitäten im Ausland – den Austausch zwischen Standorten sicherstellen zu können. Staatliche Ziele wie die nationale technologische Souveränität oder beispielsweise auch verschiedene regulative Eingriffe (extremes Beispiel ist das chinesische „Cybersecurity Law“15) stellen hier große Herausforderungen und vor allem Kostentreiber dar.
Abbildung 3: Innovations- und Offenheitsindexwerte, 2024
AT = Österreich, AU = Australien, BE = Belgien, BR = Brasilien, CA = Kanada, CH = Schweiz, CN = China, CZ = Tschechien, DE = Deutschland, DK = Dänemark, ES = Spanien, FI = Finnland, FR = Frankreich, GB = Großbritannien, GR = Griechenland, HU = Ungarn, ID = Indonesien, IE = Irland, IL = Israel, IN = Indien, IT = Italien, JP = Japan, KR = Südkorea, MX = Mexiko, NL = Niederlande, NO = Norwegen, PL = Polen, PT = Portugal, RU = Russland, SE = Schweden, SG = Singapur, TR = Türkei, TW = Taiwan, US = USA, ZA = Südafrika
Die Datenlage lässt leider keine Berechnung der Indexwerte für Taiwan zu.
Quelle: Innovationsindikator 2025
Um eine Bewertung der Entwicklung der Länder vorzunehmen, die unabhängig ist von den Phasen der Globalisierung beziehungsweise den auf internationalen Austausch durchschlagenden Effekten, führen wir hier einen normierten Vergleich durch. Die Kernfrage ist somit nicht, ob ein Land über die Zeit offener oder weniger offen wurde, sondern ob sich im Vergleich zu den allgemeinen Trends Intensivierungen (oder Rückentwicklungen) der Offenheit der Länder feststellen lassen. Entsprechend dieser und der systemischen – das heißt in diesem Fall mehrdimensionalen und auf mehreren Indikatoren beruhenden – Perspektive finden sich im Zeitverlauf sehr stabile Trends. Dennoch haben einige Länder abweichend von diesen generellen Trends über die Zeit Entwicklungen genommen, die an dieser Stelle besonders betrachtet werden sollen. Im Vergleich zum Jahr 2005 verzeichnet Tschechien den höchsten Zuwachs bei den Indexwerten im Bereich Offenheit. Während nahezu alle Einzelindikatoren steigende Trends der Offenheit zeigen, sind es insbesondere ausländische Direktinvestitionen, vom Ausland finanzierte Forschungs- und Entwicklungsausgaben sowie von multinationalen Unternehmen durchgeführte FuE-Aktivitäten im Land, die zu einer deutlichen Steigerung des Offenheitsindex geführt haben und Tschechien auf den siebten Platz im Jahr 2024 befördern.
Auch Dänemark hat im Zeitverlauf deutlich zugelegt und sogar während der Coronakrise sein Niveau noch erhöhen können. Stetig nach oben ging es insbesondere seit Mitte der 2010er-Jahre im Bereich der wissenschaftlichen Integration (internationale Ko-Publikationen), aber auch bei den ausländischen Direktinvestitionen und der Arbeitsmarktbeteiligung von im Ausland Geborenen.
Interessant ist auch die Entwicklung der USA, die zwischen 2008 und 2016 sinkende Indexwerte zu verzeichnen hatten und von 2017 bis 2019 – dies fiel in die erste Amtsphase des Präsidenten Donald Trump – beim Indexwert sogar zulegen konnten, ehe dann ein „Coronaknick“ einsetzte. Direktinvestitionen im Land und auch Investitionen US-amerikanischer Unternehmen im Ausland sind ein wesentlicher Grund für das gute Abschneiden beziehungsweise die positive Entwicklung, ebenso wie Open-Source-Software-Repositorien, Studierende aus dem Ausland und libertäre gesellschaftliche Werte.
staatliche ziele wie die nationale technologische souveränität stellen große herausforderungen dar. «
Deutschlands Offenheitsindex hat sich über weite Strecken der Beobachtungsperiode positiv entwickelt, bis auch hier im Jahr 2020 beziehungsweise 2021 die Effekte der Coronapandemie besonders sichtbar wurden. Die Entwicklung ist stark getrieben durch die Indexwerte der ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland sowie auch im Ausland. Gleichzeitig sind aber auch Effekte im Wissenschaftssystem sichtbar, die sich mit der Einführung politisch-strategischer Ansätze in zeitlichen Zusammenhang bringen lassen. So wurde beispielsweise im Jahr 2017 die Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung zu Wissenschaft und Forschung neu aufgelegt, die eine Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit zum Ziel hatte. Mit der Hightech-Strategie der Bundesregierung aus dem Jahr 2018 wurde erstmals explizit das Konzept von Open Science propagiert und damit der Grundstein für die noch heute verfolgten Open-Access- und Open-Data-Bemühungen gelegt.
Betrachtet man die Offenheit der nationalen Wissenschafts- und Innovationssysteme, wie wir sie hier abbilden, und die Innovationsfähigkeit, wie sie im ersten Teil dieses Berichts dargestellt ist, dann zeigt sich ein eindeutig positiver Zusammenhang, das heißt, je offener und international integrierter ein Land ist, umso größer ist auch die Innovationsfähigkeit. Zwar kann von den hier dargestellten Korrelationen nicht auf einen kausalen Zusammenhang geschlossen werden, allerdings ist ein Zusammenhang unübersehbar und entspricht den konzeptionellen Überlegungen, wie sie eingangs skizziert wurden.
Es zeigen sich jedoch im Zeitverlauf auch hier Veränderungen.16 Während der Zusammenhang seit Beginn der Beobachtungsperiode im Jahr 2005 zugenommen hat, hat er sich ab circa dem Jahr 2020 wieder in die andere Richtung entwickelt, auch wenn er weiterhin hoch bleibt. Dies stützt die Annahme, dass zu Zeiten der Globalisierung die internationale Vernetzung und die Offenheit der Systeme einen starken und steigenden Beitrag zum Innovationserfolg geleistet haben, in der jüngeren Vergangenheit aber neue Perspektiven eingenommen wurden. Konzeptionell wurde es mit den beiden zusätzlichen Dimensionen der Forschungssicherheit und der technologischen Souveränität begründet, dass Offenheit und Kooperation vielerorts eine Neuausrichtung erfahren. Die Daten scheinen die These der Neuausrichtung zu stützen. Der Zusammenhang zwischen Offenheit und Innovationsfähigkeit geht ein wenig zurück, bleibt aber weiterhin hoch, wenngleich Effekte der Pandemie sowie der geopolitischen Krisen ebenfalls zu Buche schlagen.
Würde man eine lineare Trendlinie durch die Datenpunkte legen, dann wären Länder wie Singapur, Schweden, Finnland, Großbritannien, Deutschland, Israel, Frankreich, Spanien oder auch Japan auf oder in der Nähe dieser Linie verortet. Länder unterhalb der Linie erreichen eine hohe Innovationsfähigkeit trotz eines vergleichsweise niedrigeren Engagements bei Offenheit und Austausch. Hierzu gehören Belgien, Südkorea, China, Mexiko oder auch die USA. Umgekehrt finden sich Länder wie Dänemark, die Niederlande, Österreich, Australien, Kanada oder auch Tschechien, die ihre Offenheit nicht wie andere Länder durch eine entsprechende Leistungsfähigkeit bei Innovationen belohnen können.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine Korrelation zwischen Offenheit – wie wir sie hier gemessen haben – und der Innovationsfähigkeit von Ländern besteht. Allerdings haben sich die Bedingungen und auch die Zielrichtungen von internationaler Kooperation in Wissenschaft, Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitverlauf verändert. Waren es in den 2000er- und 2010er-Jahren vor allem die Opportunitäten, die aus der Globalisierung erwachsen sind, so sind es spätestens seit der Coronapandemie und den geopolitischen Verwerfungen der jüngeren Vergangenheit nun stärker Sicherheits- und Souveränitätsaspekte, die Eingang in die politischen und strategischen Überlegungen gefunden haben. Es wird in allen Ländern vermutlich zukünftig eine Offenheit und einen internationalen Austausch geben, der nicht mehr nur Opportunitätsmanagement als Basis der Strategien hat, sondern deutlich stärker als in früheren Jahren eine Zielorientierung sowie Beiträge zur Souveränität zugrunde legt.
6 Chesbrough, H. W. (2003): Open innovation: The new imperative for creating and profiting from technology. Boston: Harvard Business School Press.
7 Hippel, E. von (1998): The sources of innovation, Oxford: Oxford University Press; Hippel, E. von & Krogh, G. (2011): Open innovation and the private-collective model for innovation incentives. In: Dreyfuss, R. & Strandburg, K. (Hrsg.): The Law and Theory of Trade Secrecy: A Handbook of Contemporary Research. Cheltenham: Edward Elgar, S. 201–221.
8 Kroll, H. (2025): Governance internationaler Zusammenarbeit in Forschung und Technologie, Stiftung für den Maschinenbau, den Anlagenbau und die Informationstechnik, Frankfurt am Main:: Stiftung Impuls; https://impuls-stiftung.de/wp-content/uploads/2025/07/2025-06_IMPULS_FhG_ISI_Governance-internationaler-Zusammenarbeit.pdf.
10 Edler, J., Blind, K., Frietsch, R., Kimpeler, S., Kroll, H., Lerch, C. et al. (2020): Technologiesouveränität. Von der Forderung zum Konzept. Karlsruhe: Fraunhofer ISI.
11 Europäische Kommission (2025): A Competitiveness Compass for the EU. Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions. Brüssel.
12 Europäische Union (2024): The future of European competitiveness. Part A: A competitiveness strategy for Europe. Luxembourg: Publications Office of the European Union.
13 Europäische Kommission (2021): European Research Area Policy Agenda – Overview of actions for the period 2022–2024. Brüssel; https://commission.europa.eu/system/files/2021-11/ec_rtd_era-policy-agenda-2021.pdf
14 Es gibt zwar einige wenige Indikatoren, die sowohl bei der Innovationsfähigkeit als auch bei der Offenheit verwendet werden, die Unterschiede sind jedoch deutlich. Von 21 Indikatoren beim Thema Offenheit finden sich lediglich zwei Indikatoren (Anteile von internationalen Ko-Publikationen und Ko-Patenten) auch bei der Innovationsfähigkeit. Die Offenheit zielt in der Breite auf Austausch ab, was bei der Innovationsfähigkeit nicht direkt berücksichtigt wird.
15 https://www.investmentplattformchina.de/grenzueberschreitender-datentransfer-von-china-ins-ausland/
16 Die Rangkorrelation von Innovationsfähigkeit und Offenheit der hier betrachteten Länder steigt im Zeitverlauf an und fällt dann mit dem Jahr 2020 etwas ab.